Vortrag Stiftingtaler Gespräche am 14.1.2015
Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen,
Dass uns Arbeit und Brot gerüstet stehen,
Dass unsere Kinder in der Schule lernen
Und unsere Alten nicht mehr betteln gehen.
Dieses Gedicht aus dem Jahr 1848 von Gustave Leroy, einem großen französischen Arbeiterdichter, aufgegriffen auch von Ferdinand Freiligrath, nahm die Arbeiterbewegung freudig in ihr Kulturgut auf, um in kurzen Worten ihr Programm der Armutsbekämpfung bereits im 19. Jahrhundert voranzutreiben.
Wenn wir uns heute, meine Damen und Herren, eingehend mit Armut beschäftigen, sollten wir einige Minuten zurückblicken, welche Konzepte sich zu ihrer Bekämpfung in Österreich entwickelten.
Nach den Vorstellungen der Arbeiterbewegung sollten Demokratie, Rechtsstaat und eine umfassende Sozialgesetzgebung zur Etablierung eines Sozial- und Wohlfahrtsstaates führen, der keine Armut mehr kennt. Die
ungemeine Misere der unterprivilegierten Schichten ließ aber durchaus auch die Kirche – wenn wir die heutige Veranstaltung mit unseren christlichen Freundinnen und Freunden ausrichten - auf den Plan treten. Sie propagierte mit Papst Leo XIII. in dessen Enzyklika Rerum novarum die Armutsbekämpfung durch die Besitzenden allerdings ausschließlich im Rahmen der Nächstenliebe. Die notleidende Bevölkerung sollte dabei explizit von politischer Mitbestimmung ebenso ausgeschlossen bleiben wie es auf Mittel der Armutsbekämpfung keinerlei Rechtsanspruch geben sollte.
Wie sehr die Arbeiterbewegung die Bigotterie und völlige Unzulänglichkeit der privaten Mild- und Hilfstätigkeit der Oberschicht durchschaute, zeigt eine ironische Darstellung aus einer Publikation der Bewegung um die Jahrhundertwende. Oben ist ein rauschender Ball dargestellt, daneben arme bettelnde Menschen, darunter der Dialog zweier Arbeiter. Sagt der erste: „Schau, heute tanzen sie wieder für uns – und zwar die ganze Nacht.“ Antwortet der zweite Arbeiter: „Ja, sehr schön, aber wir arbeiten für sie – und zwar das ganze Jahr.“
Mit der Errichtung der Republik Österreich konnten sich die Ideen der Arbeiterschaft vorerst durchsetzen. Bis 1920 wurden mit einer beispiellosen Sozialgesetzgebung unter Ferdinand Hanusch - wie etwa dem 8 Stunden Tag und der 48 Stunden Woche, dem Angestelltengesetz, der Arbeitslosenversicherung, dem gesetzlichen Urlaub, der Abschaffung des Arbeitsbuches, dem Verbot der Kinderarbeit und dem Betriebsrätegesetz mit der so wichtigen Außenseiterwirkung der Kollektivverträge - die ersten Fundamente unseres heutigen Sozial- und Wohlfahrtsstaates und damit der Armutsbekämpfung gesetzt.
Aber bereits ab diesem Zeitpunkt, 1920 also, versuchten die Gegner der sozialen Absicherung durch den Primat des Staates und der Schaffung von Rechtsansprüchen alles,den „sozialpolitischen Schutt“ – wie man die so wichtigen Schutzgesetze für die Armutsbekämpfung zynisch bezeichnete – wieder wegzuräumen und auch mit der politischen Partizipation der Unterprivilegierten abzufahren.
Das Ergebnis dieser Gegenströmung war bekanntlich die Ausschaltung der Demokratie und die Errichtung zuerst der österreichischen, dann der nationalsozialistischen Diktatur.
Nach 1945 machte man alles anders, die einen sahen ein, dass der ungezügelte Kapitalismus unmittelbar in Diktatur und Krieg geführt hatte, die anderen verzichteten auf ihren revolutionären Gestus, weil das Ziel des umfassenden Sozial- und Wohlfahrtstaates auch auf dem Wege der Verhandlungen – also einer reformistischen Politik – zu erreichen war. Der ehemalige hohe Funktionär der österreichischen Diktatur und der ehemalige Häftling des Anhaltelagers Wöllersdorf – hier im Bild Leopold Figl und Adolf Schärf – gaben sich – nicht nur symbolisch - die Hände.
Die Kirche – früher wesentlicher Träger des politischen Katholizismus – entwickelte Äquidistanz zu den Parteien, gab ihre Skepsis gegenüber der Demokratie auf und akzeptierte den Primat des Staates in der Armutsbekämpfung unter Gewährung von Rechtsansprüchen. Diese Versöhnung zwischen Arbeiterbewegung und Kirche gipfelte in der eindrucksvollen Rede von Kardinal Franz König beim österreichischen Gewerkschaftsbund am 27. Februar 1973.
Die Folge der neuen Politik – ganz wesentlich auch unter Einbindung der Sozialpartner – war die Schaffung des modernen Sozial- und Wohlfahrtsstaates, wobei das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz 1955, das erstmals eine umfassende Absicherung bei Krankheit, Unfall und Alter bot, als wohl wichtigste Etappe in der Armutsbekämpfung exemplarisch genannt werden soll.
Dieser gedeihliche Prozess dauerte ungebrochen bis Anfang der 80er Jahre, dann begannen sich neoliberale Konzepte durchzusetzen. [Folie11] Sie sahen im Sozial- und Wohlfahrtsstaat den erklärten Gegner, stattdessen wurde ungezügelte Marktwirtschaft propagiert. Die Ideen waren alles andere als neu, sie setzten vielmehr an den – eben erst überwunden geglaubten –wirtschaftswissenschaftlichen Vorstellungen der 30ger Jahre an. Die Vorstellung des sogenannten „trickle down“ wurde geradezu zum religiösen Credo. Demnach könne man ohne weiteres an der ökonomischen Spitze unermesslichen Reichtum zulassen, würde dieser doch von selbst nach unten sickern und auch die ärmsten Bevölkerungsschichten erreichen.
Diese krause Idee ist natürlich völlig gescheitert. Es „trickelt“ – um etwas salopp zu formulieren, meine Damen und Herren – wenig bis nichts. Die Schere zwischen Arm und Reich, die sich bis Ende der 70ger Jahre mehr und mehr geschlossen hatte, öffnete sich wieder schnell und stetig. Papst Franziskus hat das „trickle-down- Prinzip“ daher in seinem apostolischen Schreiben „Evanglii Gaudium“ unlängst scharf kritisiert. Er wurde daraufhin in den - nicht nur neoliberalen – Medien als „Klassenkämpfer“ und „Sozialrevolutionär“ beschimpft, was uns von den Arbeitnehmerinteressenvertretungen schon ein wenig amüsiert, meine Damen und Herren, weil üblicher Weise wir mit diesen Attributen bedacht werden. Willkommen also im Club, lieber Franziskus!
Was sollte sich nun, meine Damen und Herren, in Abkehr von diesen neoliberalen Tendenzen neuerlich im Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- und Steuersystem verändern, damit sich tatsächlich etwas für die von Armut betroffenen Menschen verändert? Zumal die zunehmende Ungleichheit – wie die neueste OECD-Studie zum Thema anprangert – das Wirtschaftswachstum enorm bremst.
Nur einige Punkte kann ich hier präsentieren, mehr geht sich in der knappen Zeit nicht aus. Die Beispiele entsprechen im Übrigen der Beschlusslage in den Arbeitnehmer-Parlamenten der steirischen Arbeiterkammer und der Bundesarbeitskammer, wobei in den meisten Fällen alle Fraktionen – und die sind im Wesentlichen ident mit der österreichischen Parteienlandschaft – zugestimmt haben.
„Dass uns Arbeit und Brot gerüstet stehen “ heißt es im Gedicht. Die größte Armutsfalle ist ohne Zweifel die Arbeitslosigkeit. Wenn man die Schulungsteilnehmerinnen und -teilnehmer mitzählt, sind derzeit nahezu 460.000 Menschen in diesem Land ohne Beschäftigung. Wir brauchen ganz entschieden mehr Arbeitsplätze, die durch eine neue Staatsquoten- und Investitionspolitik zur Förderung der Realwirtschaft – wie Stephan Schulmeister dies unlängst hier vor dem ArbeitnehmerInnenparlament stimmig dargelegt hat – zu schaffen sein werden.
Zudem wird es nötig sein, die Arbeit fairer zu verteilen: Die einen arbeiten rund um die Uhr, die anderen erschlägt eine sinnentleerte ungewollte Freizeit. Ich darf nur darauf hinweisen, dass in Österreich 300 Mio. Überstunden pro Jahr geleistet werden, davon 60 Mio. unbezahlt. Zu fordern sind daher vorweg eine gesonderte Abgabe sowie eine generelle Verteuerung von Überstunden.
Auch die Arbeitszeitverkürzung unter vollem Lohnausgleich sollte man nicht aus den Augen verlieren.
Warum bei einer immensen Erhöhung der Produktivität in den letzten Jahren und Jahrzehnten, einer immer effizienteren Technisierung und Digitalisierung und der damit verbundenen Verknappung der Arbeit sich viele Menschen immer mehr abstrudeln müssen, um mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen, hat mir noch niemand schlüssig erklären können.
Eindeutig mehr Mittel muss es für die Qualifikation von Arbeitslosen geben. Die Arbeitslosigkeit steigt und die Mittel für Betreuung und Qualifikation sinken – das verstehe wer will!
Das nächste Problem ist das Arbeitslosengeld selbst. Mit dem, meine Damen und Herren, was hier geboten wird, können die wenigsten auskommen. Österreich liegt weit unter dem europäischen Niveau, eine Erhöhung der Nettoersatzquote von unverantwortlichen 55 % auf 75 % ist ein Gebot der Stunde. Dass Arbeitslose dadurch verleitet werden können, sich in der sogenannten sozialen Hängematte „breitzumachen“, wie die landläufige Meinung zeitweilig meint, bedeutet, die Arbeitslosen unter Generalverdacht zu stellen. Das ist Zynismus pur, die meisten wollen natürlich arbeiten.
Und wenn man schon dabei ist, hier mehr Gerechtigkeit zu schaffen, darf man auf die Notstandshilfe nicht vergessen: Die ist als echte Versicherungsleistung zu gestalten, eine Anrechnung des Partnereinkommens trifft vor allem die Frauen und ist abzustellen.
Und dann sind natürlich auch jene Menschen anzusprechen, die aus den Netzen der Sozialversicherung überhaupt herausfallen. Bei der Mindestsicherung, die diese Menschen abfangen soll, liegen wir selbst bei Einbeziehung von Zusatzleistungen und Gebührenbefreiungen wesentlich unter der Armutsschwelle. Nimmt man also die Armutsbekämpfung ernst, wird man hier nachbessern müssen. Dabei ist allerdings zu achten, dass der Betrag doch bemerkbar unter dem Arbeitslosengeld liegen sollte, weil letzteres immerhin eine Versicherungsleistung ist, der Beitragszahlungen gegenüber stehen.
Bei jenen wiederum, die tatsächlich Arbeit haben, gibt es immer mehr, die von ihrem Einkommen nicht mehr leben können und in verfestigte Armut abgleiten.
Es muss uns gelingen, in einigen Branchen die Mindestentgelte anzuheben. Es ist nicht tolerierbar, meine Damen und Herren, dass wir in einzelnen Branchen – die teilweise enorm wirtschaftlich prosperieren wie etwa Ärzte, Notare oder Rechtsanwälte – Mindestentgelte um 1.000,00 Euro brutto für Vollarbeitszeit haben. Weil die Arbeitgeber nicht bereit sind, mit den Gewerkschaften faire und angemessene Mindestentgelte zu verhandeln. Hier muss es die Möglichkeit geben, auch bei Bestehen einer Kollektivvertragsfähigkeit auf Arbeitgeberseite das sozialpartnerschaftlich besetzte Bundeseinigungsamt anzurufen und mit staatlicher Hilfe eine tragbare Lösung zu finden.
Und natürlich ganz vorrangig in der Bekämpfung der neuen Armut: Das Arbeitsrecht und vor allem die Mindestentgelte müssen auch für freie DienstnehmerInnen und Werkvertragsnehmer gelten, die von ihren Auftraggebern wirtschaftlich abhängig sind.
Dass gutausgebildete junge Menschen in sogenannten Praktika unentgeltlich oder mit einem Taschengeld – um nicht zu sagen mit einem Bettel – ausgebeutet werden, ist, meine Damen und Herren, eine Schande. Zum einen soll es daher – wie auch bei den Lehrlingen – ein Ausgleichstaxystem für die Beschäftigung von Praktikantinnen geben, um diesen einen leichteren Einstieg in die Arbeitswelt zu ermöglichen. Zum anderen sind unbezahlte Praktika oder Praktika zu Dumpinglöhnen abzustellen.
Unlängst hat die OECD in einer Studie zu Recht kritisiert, dass das Armutsrisiko der jungen Menschen am höchsten ist. Seit Beginn der Wirtschaftskrise erlitten junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren die höchsten Einkommensverluste. In Österreich ist die Armutsgefährdung der jungen Menschen bereits auf 9 % geklettert, was erheblich über dem OECD-Schnitt von 7,2 % liegt. Das viel belächelte „Hotel Mama“ ist in unserem Landoffensichtlich kein selbstgewählter Hort der Bequemlichkeit junger Menschen, sondern eine Überlebensstrategie.
Teilzeit-Arbeit ist, meine Damen und Herren, eine wahre Armutsfalle – und sie trifft in erster Linie Frauen. Die steirische Arbeiterkammer hat darauf bereits in zahlreichen Veranstaltungen und Aussendungen hingewiesen. Nicht nur, dass die Entlohnung für ein eigenständiges selbstbestimmtes Auskommen in der Regel nicht zureicht, ist auch die Altersarmut aufgrund der zu erwartenden geringen Pensionen vorprogrammiert. Eine Verteuerung der Teilzeitarbeit durch einen höheren Grundlohn und insbesondere die Entlohnung jeder Mehrstunde mit einem 25%en Zuschlag ohne irgendwelche obskuren Durchrechnungsmodellen ist ein Gebot der Zukunft.
Natürlich wird man für die Vollzeitbeschäftigung vor allem der Frauen entsprechende Rahmenbedingungen schaffen müssen: Qualitativ hochstehende Kinderbetreuungseinrichtungen fehlen in vielen Regionen. Unsere Abteilung für Frauen und Gleichstellung hat im Übrigen die Versorgung unlängst auf einer Landkarte visualisiert, die weißen und hellen Flecken geben durchaus Anlass zur Sorge.
„Dass unsere Kinder in der Schule lernen“, heißt es bei Freiligrath:
Bildung ist nahezu die einzige Möglichkeit, der Armut zu entkommen. Aber wie sieht unser Bildungssystem aus? Bildung wird vererbt, Kinder aus gebildeten Familien kommen weiter, Kinder aus ungebildeten gehen unter.
Auch wenn jetzt die Abwehrfront zu bröckeln beginnt – es ist gut, hier die Industriellenvereinigung und teilweise auch die Wirtschaftskammer auf unserer Seite zu wissen - wie lange, meine Damen und Herren, wird es noch dauern, bis die gemeinsame Schule der 10-14jährigen und die Ganztagsschule mit attraktivem verschränktem Unterricht und Freizeitmöglichkeiten endlich flächendeckend eingeführt werden? Einrichtungen, die nach fast allen pädagogischen Experten wenigstens eine veritable Chance für unterprivilegierte Kinder schaffen sollten. Die steirische Arbeiterkammer hat unlängst erhoben, dass in der Steiermark 9 Mio. Euro pro Jahr allein an Nachhilfe ausgegeben werden müssen. Können die Eltern zahlen, ist es gut fürs Kind, können sie es nicht, bleiben Tochter oder Sohn auf der Strecke.
Und schließlich als letzter Punkt: „Dass unsere Alten nicht mehr betteln gehen“.
Die Pensionsdebatte in Österreich ist eine unendliche. Insgesamt steht das System im internationalen Vergleich recht gut da, was weniger für das österreichische System als gegen die internationalen Vergleichsmodelle spricht. Was sind die Fakten?
Die Durchschnittspension bei Männern beträgt 1.522,00 Euro brutto, bei den Frauen 918,00 Euro brutto Da sind wir von der Armutsgrenze nicht weit entfernt oder haben diese bereits unterschritten. Und bei den sogenannten „Mindestpensionen“ – also den Ausgleichszulagen - liegen wir ohnehin darunter.
Und das Problem der Altersarmut – da muss man kein Prophet sein, meine Damen und Herren – wird sich verschärfen: Die Pensionsreform von 2003 – beschönigend auch Pensionssicherungsreform genannt – hat – vor allem bei Frauen – einen realen Pensionsverlust bis zu 25 % gebracht. Diese Verluste werden spätestens ab 2025 voll schlagend. Dass sie bei der derzeitigen durchschnittlichen Einkommenslage der Familien und insbesondere der Frauen durch eine private Pensionsvorsorge ausgeglichen werden können, ist eine schöne Mär. Wer grassierende Altersarmut in Zukunft nicht zulassen will, wird gegensteuern müssen.
Wenn Gewerkschaften und Arbeiterkammern ihr Programm zur Armutsbekämpfung präsentieren, kommt unweigerlich die Antwort: „Ist ja schön und gut, aber wie finanzieren bei leeren Kassen?“
Unsere Antwort ist klar, und wir können sie nicht oft genug wiederholen: Es muss eine andere Steuerpolitik geben – nicht unbedingt mehr Steuern, sondern vor allem eine andere Struktur der Steuern - möglichst weltweit, aber in Österreich und in Europa sollten wir anfangen.
Was schwebt uns vor? Da wäre einmal vorweg eine Vermögenssteuer, die unabdingbar ist. Ein Prozent der Menschen dieses Landes besitzt ein Drittel des Vermögens, neun weitere Prozent ein weiteres Drittel. 90 % teilen sich den Rest. Bei den Vermögenden handelt es sich vielfach um Menschen, die kaum etwas zur Infrastruktur und sozialen Gestaltung dieses Landes beitragen. Da muss man etwas tun, wie die OECD dies auch mehrmals dringend eingemahnt hat. Es sollte daher eine Vermögenssteuer mit einem Freibetrag von 1 Million Euro geben und mit moderaten Steuersätzen zwischen 0,5 und 1,5 %. Mindestens 2,5 Milliarden Euro wären daraus jährlich zu lukrieren.
Dass die Charity- und Almosenmentalität bei der Bewältigung der sozialen Frage sich in den Köpfen wieder mehr und mehr verfestigt und das staatliche Solidaritätsprinzip abgedrängt hat, zeigt folgende Episode:
Mit den Worten: „Lasst uns bitte zahlen!“ forderten österreichische Millionäre Mitte des Jahres 2014 endlich faire Vermögenssteuern ein – wie dies schon die US-Milliardäre Warren Buffett und Bill Gates getan haben. Was war die briefliche Reaktion des damaligen Finanzministers? Er könne dem Wunsch nicht nachkommen, die Damen und Herren Millionäre mögen stattdessen etwas spenden – ganz nach eigenem Gutdünken und Geschmack, am besten für die Wissenschaft.
Die befremdete Reaktion kam prompt, so etwa von Ariel Muzicant, einem der Proponenten der Aktion. Muzicant wörtlich: „Ich spende ohnehin einen großen Teil meiner Einkünfte und brauche dazu keine Ratschläge. Mir geht es um eine Systemänderung und um Steuergerechtigkeit.“
Bloß der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass vor Jahrzehnten ein anderer Finanzminister – diesmal von der anderen Reichshälfte – die Vermögenssteuer – die allerdings anders konzipiert war – mit wenig Weitblick abgeschafft hat.
Und dann brauchen wir, meine Damen und Herren, endlich ausgewogene Erbschafts- und Schenkungssteuern bzw. ein Erbschaftssteuer-Äquivalent für Stiftungen mit einem großzügigen Freibetrag, etwa 300.000 Euro für jeden Erbfall. Beim Erben und Schenken darf man getrost, meine Damen und Herren, mit zwei prominenten Strafverfolgten dieses Landes fragen: „Wo war mei Leistung?“
Gerade bei großen Vermögen, die auf dem Erbschafts- und Schenkungswege transferiert werden, offenbart sich die ganze Ungerechtigkeit des Systems. Die Befürworter dieser Ordnung – besser sollte man sagen Unordnung – der Ungleichheit verweisen immer wieder darauf, dass Vermögen nicht nur gemacht sondern auch verloren werden. Oder wie Otto Bismarck, der legendäre Kanzler des Deutschen Reichs, Ende des 19. Jahrhunderts gemeint hat: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet es, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt.“
Das Gegenteil, meine Damen und Herren, ist der Fall, wie wir es spätestens seit dem aufsehenerregenden Buch von Gregory Clark, „The Son Also Rises“ wissen: Der Autor hatdie soziale Mobilität seit dem Mittelalter untersucht und gelangt zu dem Schluss, dass die Nachkommen mittelalterlicher Eliten – also teilweise nach mehr als 10 Jahrhunderten! – im Schnitt immer noch besser gestellt sind, als dies aufgrund ihrer wirtschaftlichen Performance sein dürfte. Mit anderen Worten: Reiche Familien bleiben reich, arme Familien arm. Durch Arbeit zu Reichtum zu gelangen – also diesen Teufelskreis zu durchbrechen – ist nahezu ausgeschlossen.
Zu dem Schluss muss man auch gelangen, wenn man das Buch von Gregor Henckel-Donnersmarck, des früheren Logistikmanagers und Abt des Stifts Heiligenkreuz, gelesen hat. Ursprünglich wollte er es ja „Cash mit Gott“ nennen – mir persönlich hätte das auch gut gefallen – jetzt heißt es „Reich sein ist keine Sünde“. Und dazu kann man nur sagen, ja, meine Damen und Herren, reich sein ist keine Sünde, aber wer reich ist sollte einen angemessenen – und zwar über Steuern demokratisch verwalteten – Anteil für den Wohlfahrtsstaat und damit für eine effektive Armutsbekämpfung leisten.
Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine effektive Finanztransaktionssteuer – die ersten Ansätze sind unbefriedigend – das ist nicht nur ein Beitrag für den Staat, der seiner sozialen Verantwortung nachzukommen hat, sondern auch ein Beitrag für die Stabilisierung des Finanzmarktes zu Gunsten einer neuen Prosperität des Realmarktes.
Auch Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer sind zu überdenken und auf europäischer Ebene auf einem angemessenen Niveau zu stabilisieren. Warum die beiden Steuern bei 25 % eingefroren sind, die übrige Einkommenssteuer, vor allem also die Steuer auf Arbeit, aber eine Progression bis 50 % aufweist, ist nicht nachvollziehbar.
Und, meine Damen und Herren: Eine moderate Wertschöpfungsabgabe. Es ist hoch an der Zeit, die Wertschöpfung und nicht die Löhne als Bemessungsgrundlage für die Arbeitgeberabgaben heranzuziehen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Arbeitsintensive Betriebe, die derzeit die Hauptlast für die Finanzierung des Sozialsystems tragen, werden gegenüber kapitalintensiven Betrieben begünstigt.
Und schließlich, meine Damen und Herren, wäre als letzter Punkt die Einkommenssteuer anzusprechen. Die Arbeitnehmerinteressenvertretungen fordern - gerade auch zur Armutsbekämpfung – eine spürbare Entlastung der unteren und mittleren Einkommensbezieher sowie eine stärker zum Tragen kommende Negativsteuer für jene Menschen, deren Einkommen unter den Steuergrenzen liegt. Einkommen ist – ebenso wenig rechtfertigbar wie Vermögen – höchst ungleich verteilt. Dazu nur ein Beispiel:
Der höchstbezahlte österreichische Manager erhält 210.000,00 Euro brutto, das sind 106.000 Euro netto – nicht pro Jahr, sondern pro Monat. Demgegenüber erhält eine diplomierte Krankenschwester im OP-Bereich mit jahrzehntelanger Berufserfahrung 3.300,00 Euro brutto pro Monat, das sind – aber auch nur bei steuerbegünstigten Nacht- und Überstunden – 2.200 Euro netto.
Im Vergleich verdient der Manager somit brutto das 64fache, netto das 48fache.
Ich weiß schon, der Manager hat große Verantwortung – wohl aber auch eine diplomierte OP-Schwester - er hat in der Regel eine ausgezeichnete Ausbildung, er benötigt besondere Führungs- und Entscheidungsstärke – das soll alles sein, da ist mehr Einkommen gerechtfertigt, da würde mich auch das 10- bis 15fache nicht schrecken, aber, meine Damen und Herren, das 64- bzw. 48fache?
Ganz zu Recht hat daher Papst Franziskus in seinem – heute schon angesprochenen - apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ – wie auch der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz - diese unglaubliche und unfaire Disparität der Einkommen als ein zu beseitigendes Übel in dieser Welt angeprangert.
Und nun bin ich nicht der Meinung dass es – wie es unlängst in einer Schweizer Volksabstimmung zur Entscheidung gestanden ist -, ein gesetzliches Limit des Einkommens geben soll. Dies wäre ein Eingriff in die Marktwirtschaft und in die Privatautonomie, hinter denen die Arbeitnehmerinteressenvertretungen – Gewerkschaft und Arbeiterkammer - grundsätzlich voll und ganz stehen.
Nein, meine Damen und Herren, auch hier ist über Steuern zu korrigieren. Wir sollten daher gerade in Anbetracht von so viel Armut in unserem Land auch darüber nachdenken, ob ein Spitzensteuersatz bei 50% stehen bleiben muss, auch wenn derzeit die Arbeitnehmerinteressenvertretungen keinen entsprechenden Vorstoß unternehmen. Es müssen ja nicht gleich 90 % Spitzensteuersatz sein, wie es in so kapitalistisch geprägten Ländern wie den USA oder Großbritannien schon einmal gegeben hat.
Da sind auch nicht alle Spitzenverdiener gleich mal ausgewandert, wenn ich diesen Einwand als wohl unbegründet vorweg nehmen darf. Die Nichtabsetzbarkeit von Jahresgehältern über 500.000 Euro seit geraumer Zeit ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.
Der Sozial- und Wohlfahrtsstaat ist – um zum Schluss zu kommen, meine Damen und Herren - nicht zurückzufahren, sondern auszubauen, wollen wir die Probleme der Zukunft lösen. Keine Angst, meine Damen und Herren von Caritas, Diakonie, Volkshilfe und den anderen so wertvollen und unverzichtbaren Einrichtungen der Armutsbekämpfung: So eng kann das soziale staatliche Netz gar nicht geknüpft sein, dass nicht Härten entstehen, die durch private Initiativen abgefedert werden müssen.
Aber die Zeit drängt: Schon jetzt orientiert sich die Politik viel stärker an den Interessen der Wirtschaft und der reichen Eliten – dort sind die Opinion-Leader und die mehrheitssichernden Stimmen zu Hause -, was dazu führt – wie der bekannte deutsche Eliteforscher Michael Hartmann dargelegt hat -, dass unsere Demokratie ausgehöhlt wird. In Berliner Nobelvierteln gehen 90 Prozent zur Wahl, in den Plattenbauten des deutschen Ostens sind es gerade mal 50 Prozent.
Das langfristige Ergebnis ist eine Gesellschaft, in der die soziale Kluft zwischen großem Reichtum und großer Armut scharf abgegrenzt durch Mauer und Elektrozaun schon aus der Vogelperspektive zu sehen ist, wie eine Luftaufnahme hier von Mexico City zeigt. Ein Riss durch die Gesellschaft - keine Fotomontage!
Von einem solchen Szenario sind wir noch weit entfernt. Und dennoch: Der Unterschied zu unserer Gesellschaft ist zwar ein enorm gradueller, aber leider kein prinzipieller. Setzen wir also alles daran, meine Damen und Herren, dass unsere Kinder in der Zukunft – hoffentlich nicht ganz so fernen - nicht arm, sondern nur glücklich sind.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.